Bewegungsanalyse für die Arbeitsergonomie

Mediendienst September 2014 /

Wer körperlichen Verschleißerscheinungen am Arbeitsplatz vorbeugen will, muss den Bewegungsablauf bei der Arbeit genau kennen und biomechanisch auswerten. Mit Infrarotkameras und Kraftmessplatten im Boden misst und analysiert das Fraunhofer IPA Bewegung live auf der Messe Motek 2014. Das Messsystem lässt sich in einen realen Arbeitsplatz integrieren

© Fraunhofer IPA
Ergonomischer Arbeitsplatz mit Modulbodensystem.

Fast 7 Millionen Menschen bekommen jedes Jahr in der EU ernsthafte gesundheitliche Beschwerden durch ihre Tätigkeiten am Arbeitsplatz. Oft liegt es daran, dass die Arbeitsabläufe in den Fabriken nicht ergonomisch gestaltet sind. Oder dass den Arbeitern eine geeignete Schulung fehlt, wie sie sich zu verhalten haben. Sie gewöhnen sich ungesunde Bewegungsabläufe an, die auf Dauer zu Verschleißerscheinungen führen. Rückenschmerzen sind besonders häufig, aber auch Beschwerden in Händen und Armen. Die Probleme der Arbeitsergonomie gewinnen zunehmend an Bedeutung, da die Belegschaften infolge des demographischen Wandels immer älter werden – und damit anfälliger für Krankheiten und Verletzungen.

Um die körperlichen Anforderungen an einem Arbeitsplatz exakt angeben zu können, analysiert das Expertenteam der Abteilung Biomechatronische Systeme, bestehend aus Sportwissenschaftlern, Physiotherapeuten, Ingenieuren und Informatikern, Bewegungsabläufe und ermittelt daraus die Belastungen für Gelenke, Muskeln und Sehnen. Wie eine solche Analyse funktioniert, zeigt live der mobile Messplatz in Halle 3, Stand 3330. Synchronisierte Infrarot-Kameras zeichnen aus unterschiedlichen Richtungen die Bewegungsabläufe auf. Dazu wird ein Proband an exponierten Stellen seines Körpers mit Messpunkten versehen, vor allem an den Gelenken. Kraftmessplatten am Boden liefern zusätzliche Daten. Aus ihnen lässt sich der Kraftfluss vom Fuß über Knie und Hüften bis hin zu den Armen und Händen zurückrechnen. So erhält man für jedes der genannten Körperteile die jeweiligen Belastungen und Bewegungsabläufe.

Durch das Modulbodensystem und ein Adaptersystem für die Kameras kann das biomechanische Messsystem in einen realen Arbeitsplatz integriert werden. So können die Wissenschaftler unter realen Bedingungen Arbeitsabläufe messen, bewerten und anpassen – etwa über Simulation und Darstellung in 3D. »Wir haben Avatar-Modelle entwickelt, die auf dem Bildschirm zeigen, welche Bewegungsabläufe richtig und welche falsch sind. Ein grünes Männchen signalisiert die korrekte Haltung, ein rotes Gefahr. Diese anschaulichen Darstellungen lassen sich vor allem in Schulungen der Unternehmen verwenden«, beschreibt Felix Starker, Leiter der Gruppe Angewandte Biomechanik, die aktuelle Entwicklung auf diesem Gebiet.

Natürlich lassen sich die Daten auch nutzen, um Hilfsmittel herzustellen. Von individuell angepassten 3D-gedruckten Orthesen über körperschonende Werkzeuge bis hin zu Exoskeletten – die Stuttgarter Wissenschaftler arbeiten interdisziplinär an individuellen Lösungsansätzen. Oft sind allerdings überhaupt keine aufwendigen Hilfsmittel nötig, wie eine Bewegungsanalyse im Chemnitzer Werk des Volkswagen-Konzerns zeigte. Dort klagten mehrere Arbeiter bei der Montage des Motorblocks über eine Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk. Die Analyse des Bewegungsablaufs zeigte, wie man die Bewegung der Gelenke führen sollte, um dem Verschleiß vorzubeugen. Die betroffenen Arbeiter erhielten zunächst zur Stabilisierung des Handgelenks ein sogenanntes Kinesiotape, wie man es bei Leistungssportlern nutzt. Das Ergebnis: Die relativ einfache Orthese zeigte die erwünschte Wirkung. Zukünftig werden alle Arbeiter dieser Abteilung anstelle des konventionellen Schutzhandschuhs einen Spezialhandschuh überziehen, in den das stützende Band bereits eingearbeitet ist.