Behinderungen den Schrecken nehmen

Mediendienst 2014 /

Natürlich laufen und hantieren – trotz Prothese oder Orthese. Wie natürliche Bewegungsabläufe erfasst und mit den daraus gewonnenen Daten und Erkenntnissen Prothesen und Orthesen entwickelt werden können, zeigt das Fraunhofer IPA auf der Orthopädie- und Reha-Technik-Messe vom 13. bis 16. Mai in Leipzig.

© Fraunhofer IPA, Rainer Bez
Aktiv angetriebene Armorthese.
© Fraunhofer IPA, Rainer Bez
Bewegungsanalyse mit hochauflösendem Infrarot-Tracking-System.
© Fraunhofer IPA, Rainer Bez
Bewegungsanalyse mit hochauflösendem Infrarot-Tracking-System.

Prothesen und Orthesen können Behinderten ein erhebliches Maß an Mobilität zurückgeben – und damit ein Stück Lebensqualität. Die Ersatzteile aus den Hightech-Schmieden erleichtern das Leben umso mehr, je näher sie dem natürlichen Bewegungsablauf kommen. Mit einem künstlichen Bein lässt sich nur dann gut laufen, wenn das Kniegelenk dieselben Bewegungsfreiheiten hat wie das natürliche Knie, und dieselben Kräfte aufnehmen kann. Die Abteilung Biomechatronische Systeme des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA betreibt deshalb einen hohen Aufwand, um natürliche Bewegungsabläufe zu analysieren.

In einem eigens dafür eingerichteten Labor zeichnen synchronisierte Kameras aus unterschiedlichen Richtungen die Bewegungen von Personen auf und liefern so ein räumliches Bild. Zugleich registrieren Kraftmessplatten, die in den Boden integriert sind, die Belastungen. Daraus lassen sich alle Kräfte ermitteln, die in den Muskeln, Sehnen und Gelenken bei den jeweiligen Verrichtungen wirken. Um die Kraftmessplatten in beliebiger Anordnung – und immer wieder neu – verlegen zu können, verwendet das Institut ein Modulsystem der Salemer Firma Rose + Krieger. Als Träger dienen Aluminiumprofile, in die sowohl Messplatten als auch übliche Bodenbeläge passen. So lässt sich selbst auf Treppen und Rampen problemlos messen.

Darüber hinaus werden im Bewegungslabor Prothesen und Orthesen auf Herz und Nieren getestet. Die Stuttgarter Experten gehen dabei neue Wege. Sie ermitteln zunächst die biometrischen Bewegungsdaten von demjenigen, der das künstliche Körperteil tragen wird. So erhalten sie realistische Belastungen, die in der Prothese oder Orthese im Alltag wirken. Ein Roboter, damit gefüttert, malträtiert die künstlichen Glieder anschließend wieder und wieder mit diesen Lasten, viele Tausend Zyklen lang – bis sichergestellt ist, dass keine Komponente versagt.

Rund zwei Dutzend Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen, vom Orthopäden bis zum Informatiker, sind in der Abteilung tätig. Sie nutzen das Labor nicht nur, um individuelle Bewegungsanalysen zu erstellen. Sie untersuchen auch alltägliche Arbeiten, wie sie etwa in Fabriken anfallen: Bauteil holen, um die Werkbank laufen, Bauteil einsetzen. Die biomechanischen Daten, die dabei gewonnen werden, geben Aufschluss, wie stark die Arbeit die einzelnen Körperteile belastet und ob Arbeitsabläufe verändert werden sollten. Vor allem aber dienen die Erkenntnisse aus dem Bewegungslabor dazu, Prothesen und Orthesen optimal zu gestalten. Aus Stuttgart kommt etwa eine aktive Knieprothese, die fast natürliches Laufen ermöglicht. Oder eine Ellenbogen-Orthese mit 40-Watt-Motor, die es ihrem Träger erlaubt, die meisten alltäglichen Arbeiten zu verrichten.«.

Mit generativen Fertigungsverfahren – auch 3D-Druck oder Rapid Prototyping genannt – ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für die Herstellung passiver Kunststoff-Prothesen. Auch damit beschäftigen sich die Fraunhofer-Experten. Die innovativen Verfahren sparen nicht nur Kosten, sondern ermöglichen unter anderem auch eine individuelle Gestaltung an die Anforderungen des Patienten. Diese Technologien eröffnen eine sehr hohe geometrische Freiheit. Dadurch bieten sich neue gestalterische Möglichkeiten, die mit herkömmlichen Verfahren entweder nur schwer oder gar nicht umsetzbar sind. Feine Strukturen und funktionelle Teile wie z. B. Festkörper-Gelenke, lassen sich mit diesen Verfahren direkt aus CAD-Daten fertigen.

Die Stuttgarter arbeiten eng mit dem Veteranenministerium der USA zusammen. Deshalb wird Prof. Rory Cooper am Fraunhofer-Messestand anwesend sein. Cooper leitet neben seinen Aufgaben bei den Veteranen das Human Engineering Research Labs der Universität Pittsburgh. Daneben steht Prof. Hugh Herr für Auskünfte zur Verfügung. Er hat beim Bergsteigen beide Füße verloren. (Klaus Jacob)

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