Radartechnik hilft Patienten mit Bewegungseinschränkungen

Smarte Rollstühle, vorausschauende Prothesen

Mediendienst Dezember 2017 /

Wenn man im Rollstuhl sitzt oder eine Beinprothese trägt, können kleine Hindernisse zu unüberwindbaren Barrieren werden. Forscher vom Fraunhofer IPA haben jetzt ein Verfahren entwickelt, das Unebenheiten, Stufen oder Treppen mit Radar aufspürt. Die Informationen, die so gewonnen werden, lassen sich in der Orthopädietechnik einsetzen, um Prothesen oder Rollstühle zu steuern und zu stabilisieren.

© Fraunhofer IPA, Foto: Rainer Bez
Radar-on-Chip-Sensor zum Scannen der Umgebung für die elektronische Steuerung z. B. von Beinprothesen.

Treppen, steinige Wege und Stufen – für Rollstuhlfahrer sind solche Hindernisse oft unüberwindbar. Und auch für die Träger von Beinprothesen können sie gefährlich sein, weil das künstliche Körperteil – anders als das natürliche Knie- oder Sprunggelenk – keine Ausgleichsbewegungen macht.

»Das Ziel der Forschung ist es daher, Rollstühlen und Prothesen Intelligenz zu verleihen«, sagt Bernhard Kleiner von der Abteilung Biomechanische Systeme am Fraunhofer IPA. Zusammen mit seinem Team hat er ein Sensorsystem entwickelt, das hilft, Hindernisse rechtzeitig zu erkennen und zu überwinden.

Klein, leicht, energiesparend: Radar on Chip

Herzstück der neuen Technik sind Radar-on-Chip-Sensoren zum Scannen der Umgebung. Verglichen mit Ultraschall- oder Lasersensoren, die traditionell zur Steuerung von Robotern eingesetzt werden, haben die Radar-Chips mehrere Vorteile: Sie sind deutlich leichter und kleiner, eignen sich daher besonders gut für mobile Anwendungen und funktionieren auch außerhalb geschlossener Räume. Für den Einsatz in der Orthopädietechnik ist das ein großer Vorteil, denn die Patienten sollen die neuen Funktionen in möglichst vielen Situationen verwenden können. Günstige Radarchips haben jedoch auch einen Nachteil: Sie verfügen nur über eine Antenne, welche sowohl Signale aussendet als auch die reflektierte Strahlung empfängt. Mit dieser Anordnung lassen sich nur Gegenstände sichtbar machen, die vom Radarstrahl direkt getroffen werden. Die Messung ist damit eindimensional. Für die Ortung von Hindernissen ist das zu wenig.

Signalverarbeitung eröffnet neue Dimensionen

Durch einen Trick ist es Kleiners Team gelungen, aus den eindimensionalen Messungen ein zweidimensionales Bild zu erstellen: »Ähnlich wie ein Laserscanner verschiedene Punkte einer Oberfläche abrastert, kombinieren wir mehrere Reflexionen aus unterschiedlichen Blickrichtungen«, erläutert der Projektleiter. Die unterschiedlichen Blickrichtungen entstehen quasi von selbst, wenn der Radar-Chip bewegt wird – beispielsweise, weil sich der Träger einer mit der Sensorik ausgerüsteten Beinprothese bewegt. Komplizierter ist es mit einem Sensor, der in einen Rollstuhl integriert ist, unterschiedliche Blickwinkel zu erzeugen. Hier hilft ein Spiegel, der den Radarstrahl hin- und herlenkt. Aus den unterschiedlichen Messungen erzeugt dann ein eigens entwickelter Algorithmus das 2D-Bild der Umgebung, auf dem sich Hindernisse bis auf wenige Zentimeter genau lokalisieren lassen.

Internationale Kooperationen

Das Verfahren haben die Experten am IPA bereits patentiert. Zusammen mit einem führenden Prothesen-Hersteller untersuchen sie jetzt wie die elektronische Steuerung von Beinprothesen mit Hilfe der Radar-Bilder verbessert werden kann. Und in einem Forschungsprojekt mit den Human Engineering Research Laboratories HERL der amerikanischen University of Pittsbourgh entwickeln die Fraunhofer-Ingenieure einen intelligenten Rollstuhl mit beweglichen Radgelenken, der sogar Treppen überwinden kann.

© Human Engineering Research Laboratories HERL, University of Pittsbourgh
Intelligenter Rollstuhl mit beweglichen Radgelenken.